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Deutschland: S/BA im Zeitverlauf

BDJ-TD

Durch eine „Anzeige, die am 9.10.1952 im Frankfurter Polizeipräsidium eingeht“, kommt zu Tage dass sich Rechtsradikale im Bund Deutscher Jugend (BDJ) organisieren[1]. Der BDJ war mit 17000 Mitgliedern in ganz Westdeutschland aktiv.[2] Innerhalb der Organisation wurden „Etwa 2000 BDJ-Mitglieder […] von den Amerikanern für den Partisanenkampf gegen die sowjetischen Truppen ausgebildet“[3]. Das Netzwerk von Rechtsextremisten „BDJ war daher eine Tarnorganisation für sein Stay-behind Technischer Dienst (TD)“.[4]

Die Bewaffnung, Ausrüstung und Ausbildung dieser Akteure erfolgte durch eine amerikanische Behörde, „namentlich das Counter Intelligence Corps“(CIC), sagt der Geheimdienstexperte Erich Schmidt Eenboom[5]. Höchst interessant in Bezug auf die obige Frage, ist die Aussage des ehemaligen CIA-Chief of Station Frankfurt/ M., dem höchsten CIA-Rang in Westdeutschland, Thomas Palmer: „Der Bund Deutscher Jugend war eine rechtsradikale Organisation, die in lockerer Verbindung zu einer politischen Partei in Hessen stand,[…]“.[6]Es sei angemerkt, dass die NPD im Jahr 1964 gegründet wurde und sich heute unter ihren Mitgliedern verfassungsschutzbekannte Rechtsterroristen befinden.

Franz Josef Strauß

Eine der wichtigsten Personen in Deutschland im Zusammenhang mit der Strategie der Spannung war Franz Josef Strauß. Zu jener Zeit hatte er eine direkte Verbindung zu einem Aginter-Agenten und „gehörte damals zu den Finanziers der ultra-rechten in Europa“. „Seine politischen Freunde in Italien und Spanien(bis 1975 war dort General Franco, ebenfalls Mitglied des Stay-behind-Netzwerkes, an der Macht; Anm. d. Autors) versorgte er wiederholt mit Barem in dicken Umschlägen.“ „Für die Zahlungen bis zu 100.000 DM lässt sich der CSU Vorsitzende Spendenquittungen ausstellen. Die Gelder stammen wahrscheinlich aus einem Etat des BND.“[7]

Nicht minder von Bedeutung für die Ausgangsfragestellung ist im Kontext zu Strauß, Karl Marcel Hepp, seine rechte Hand. Er pflegte enge Kontakte zur Aginter Press und Guido Giannettini (siehe Kap. 3.1). „Kurz vor dem Anschlag auf der Piazza Fontana ist Giannettini Gast der Münchner Rüstungsschmiede Krauss-Maffei; darf einen Kampfpanzer Leopard inspizieren, der noch strengster Geheimhaltung unterliegt. Giannettini kann überdies die Heeresoffiziersschule in Hamburg besuchen, wird sogar im Verteidigungsministerium empfangen.“ „Aginter-Agent Giannettini war auch ein Mann der CIA und des BND“.[8]

Massimo Theodori, Mitglied des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Anschlag im italienischen Mailand von 1969, sagt in der ZDF Reportage Kennzeichen D: „Wir haben eindeutige Berichte und Beweise gefunden, die eine Zusammenarbeit Giannettinis und Delle Ciaies mit verschiedenen italienischen Geheimdiensten erkennen lassen und ihre Mitverantwortung am Anschlag von Mailand deutlich machen. Giannettini war demnach Delle Chiaies Verbindungsmann zu den Nachrichtendiensten, die ihm nach dem Attentat an der Piazza Fontana zur Flucht verhalfen.“[9] Demnach bestanden bereits damals Kontakte der politischen Spitze Westdeutschlands direkt in das Zentrum der Strategie der Spannung und des Personenkreises um Giannettini.

Causa WSG Hoffmann

Die Wehrsportgruppe (WSG) Hoffman wurde im Jahr 1973 von Karl-Heinz Hoffmann gegründet und im Jahr 1980 verboten. Eines der Mitglieder der Gruppe war Gundolf Köhler. Er gilt als Einzelattentäter des Anschlags auf das Münchener Oktoberfest, bei dem auch er ums Leben kam. Von Interesse ist die WSG Hoffmann für das Thema, da es Verbindungen zu einem deutschen Zweig der Stay-behind-Armee gab.

Im Falle der WSG verriet das Mitglied Raymond Hörnle, bei seiner Vernehmung durch die Polizei: „Herr Lempke zeigte uns verschieden Sprengstoffarten, Zünder, Lunten, Plastiksprengstoff und militärischen Sprengstoff.“ Er „sagte uns, dass er Leute im Gebrauch von Sprengstoffen und explosiven Geräten ausbilde.“. Heinz Lempke war „nicht nur für die Ausbildung deutscher Gladiatoren zuständig, sondern unterstütze auch deutsche Rechtsterroristen“.[10]

Der 1937 in Stralsund geborene, nach Westdeutschland geflohene Lempke, trat in Kontakt mit der rechten Szene und wurde bald Anführer des rechtsextremen Bund Vaterländischer Jugend (BVJ). 1968 scheiterte er mit dem Versuch im niedersächsischen Landtag für die NPD zu kandidieren. Lempke fand man am 01.11.1981 tot in einer Gefängniszelle. Einen Tag zuvor sagte er gegenüber dem ermittelnden Staatsanwalt Einzelheiten über 33 Waffenversteckte in der Lüneburger Heide aus. Er würde kommenden Tag bekannt geben wer diese einsetzen würde.[11]

Mit Blick in die Vergangenheit kann konstatiert werden, dass Franz Josef Strauß den Terroranschlag vom 26.09.1980 auf dem Oktoberfest für den Wahlkampf zur Bundestagswahl am 05.10.1980 nutzte. Das Hauptthema und sein Lieblingsthema war die innere Sicherheit. Für ihn kamen alternativlos Linksterroristen, RAF(Rote Armee Fraktion), für die Tat in Frage. Dennoch entstammt Köhler dem rechtsextremen Umfeld. Gerichtlich bewiesen wurde die Verbindung zu den S/BA zwar nicht, jedoch auch Hinweise auf diese Verbindung wissentlich ignoriert.[12]

Im Zusammenhang mit dem Anschlag in München kam im Jahr 1991 der deutsche Journalist Klaus Harbert zu der Überzeugung, „dass die Bomben und die Stratgie der Spannung nicht auf Italien begrenzt waren, sondern bis ins Herz von Deutschland reichten“[13].

Norbert Juretzko

Über seine Erfahrungen und Erlebnisse während seiner Zeit als Agent des BND(Bundesnachrichten Dienst) zwischen 1984 und 1999 berichtet Norbert Juretzko in seinem Buch Bedingt Dienstbereit mit Erstauflage des Jahres 2005. Von Interesse sind daran seine Schilderungen über Zeit als Teil der Stay-behind-Organisation.

Ab 1984 war Juretzko Berufsoffizier bei der Bundeswehr[14] ,absolvierte den Einzelkämpferleergang mit Auszeichnung und war Fallschirmspringer, der auch im sog. Freifall ausgebildet war.[15] Im Frühjahr 1987 erhielt er ein Angebot zum 01.10.1987 in das Referat DDR Aufklärung zu wechseln.[16] In der Außenstelle des BND im Münchener Stadtteil Schwabing, dem „Sattelhof“ am Bonner Platz, befand sich die Unterabteilung 12 dieses Referates. Darin eingegliedert, 12C,in der die Stay-behind-Agenten organisiert waren.[17] So auch Juretzko.[18] Seinen Informationen nach bestand die Sektion angeblich „aus 104 Mitarbeitern und 26 hauptamtlichen Führungspersonen“[19].

Sein Vorgesetzter in 12C war bei Eintritt ein Offizier der Fallschirmjäger, bezeichnet als Ollhauer, der vor seiner Zeit im BND eine als „Schwarze Hand“ bezeichnete Spezialeinheit der Bundeswehr befehligte.[20]

Innerhalb von 12C war eine weitere Einheit namens 12CC angegliedert. Sie „warb im gesamten Bundesgebiet Quellen und Beschaffungshelfer“, um im Invasionsfall die exilierte BRD-Führung mit Informationen zu versorgen. Neben der Durchführung von Sabotageakten sollten diese Trupps „Personen schleusen“. „Helfer, die zum Schleusen von Personen genutzt wurden“ bezeichnet Juretzko als „Verbindungs- und Weiterleitungs-(VWL-) Quelle.“ Juretzko hatte die Aufgabe, „das Schweigenetz in Friedenszeiten zu organisieren und zu betreuen“[21].

Nach den Enthüllungen zum europaweiten Netzwerk durch Andreotti in Italien im Jahre 1990 blieb Juretzko bei der deutschen Stay-behind-Organisation bis April 1991.[22] Zum Beginn des Jahres 1992 wechselte er in die Unterabteilung 12YA.[23] Die in Berlin ansässige Dienststelle wurde zusammen vom BND und der DIA, dem militärischen Geheimdienst der USA, geführt. Die DIA ist die Nachfolgerin des CIC. Zudem trugen die Amerikaner die Verantwortung für die operativen Einsätze der Unterabteilung. [24]

Anfang 1993 gilt es für die Unterabteilung 12YA, alle Stay-behind-Quellen zu mobilisieren, um daraus Beschaffungshelfer zu machen.[25] Die Stay-behind-Agenten hätten gegenüber normalen Beschaffungshelfern den Vorteil, dass „sie sogar ND(nachrichtendienstlich, Anm. d. Autor)-mäßig ausgebildet worden sind“[26]. Weiterhin begann die DIA Mitte 1993 Juretzkos „Quellen auch finanziell zu unterstützen“[27]. Mitte des Jahres 1994 wird die Unterabteilung „in 12AF umgetauft“[28].

Im Sommer 1995 zieht 12AF „in die Nürnberger Infanteriekaserne an der Tillystraße“. Zudem betont Juretzko, dass 12AF „den hochwertigsten Quellenstamm, über den der BND verfügen konnte“ innehat und darüber hinaus auch „wegen der Nähe zu den DIA-Kollegen innerhalb des Dienstes einen besonderen Stellenwert“ genießt.[29] Dienstliche Kontakte zu Stay-behind-Quellen hat Juretzko auch Ende März des Jahres 1997.[30]

Norbert Juretzko beschreibt die Stay-behind-Organisation als „eine geheime, paramilitärische organisierte Truppe, die sich im Falle eines Angriffs aus Osteuropa überrollen lassen sollte“. Er bestätigt auch das ACC als zentrale Koordinationsstelle mit Sitz im NATO-Hauptquartier[31]. Juretzko hebt weiterhin Propaganda, Wirtschaftskrieg, Sabotage, Anti-Sabotage, Zerstörung, Evakuierungsmaßnahmen als Aufgaben im Invasionsfall hervor[32] und fasst die Organisation als „eine Mischung aus staatsgefährdenden Geheimdienst-, Militär- und Neonazimauscheleien“[33] zusammen. Bemerkenswert ist, dass er die Nachrüstung der SBA beschreibt. So „hatte der BND von Siemens ein neues Kommunikationskonzept entwickeln lassen, das Funkgerät FS 5000“[34]. Damit wird klar, dass in die Stay-behind-Organisation investiert wurde, um ihre Fähigkeiten, z.B in Sachen Agentenfunk, auszubauen.

Die Aussagen Juretzkos zeigen, dass das Netzwerk weiter existiert hat. Auch wurde es selbst mit der Zeit weiterentwickelt und an aktuelle Gegebenheiten angepasst. Juretzko (2005) nach sind ebenfalls die technischen sowie strukturellen Fähigkeiten des Netzes ausgebaut worden. Es lässt sich damit festhalten, dass die Geheimarmeen in Deutschland kein statisches Phänomen im Kalten Krieg sind, welches, wie er, 1991 verschwand, weder organisational noch technisch oder strukturell.

Jerzy Montag

Jerzy Montag, Bündnis 90/ Die Grünen, Mitglied des deutschen Bundestages, hat mit Weiteren „im Herbst 2009 in einer kleinen Anfrage einen umfassenden Fragekatalog zu „Gladio“ ins Parlament eingebracht“, doch die Anfrage brachte keine neuen Erkenntnisse in Bezug auf das Attentat in München und die mit Geheimagenten durchsetzte rechtsextreme Szene.[35]
Dennoch unterstreicht er in der Arte Dokumentation die Bedeutung der Zusammenarbeit von Geheimdiensten mit den Rechtsextremisten und deshalb die Dringlichkeit der Untersuchungen zu den geheimen Soldaten und dem Münchener Anschlag.

Insgesamt zeigt der betrachtete Zeitverlauf zwischen 1950 und 2010 ein dekadenweises Auftreten der Strategie der Spannung und des S/B-Netzwerks in der Öffentlichkeit. Über die betrachteten sechs Dekaden kann dieses Auftreten mit Ausnahme der Dekade 1960-1970 auf Basis der verwendeten Informationen festgestellt werden.

Nach dem Kurzportrait zu den Geheimarmeen; sowohl Erläuterungen zur Begriffsherkunft als auch der Festlegung einer Definition des Begriffs für diese Arbeit und den in diesem Kapitel vorgestellten Zusammenhängen zwischen Deutschland, dem S/B-Netzwerk und der Strategie der Spannung; wird in den zwei nachstehenden Kapiteln für die zweite Vergleichsgrundlage die NSU-Affäre behandelt. Das anschließende siebte Kapitel zeigt vergleichend die Parallelen der Vorfälle auf.

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[1] Arte; Dokumentation: Gladio – Geheimarmeen in Europa; ausgestrahlt am 22.02.2011
[2] Vgl. Ganser; NATO Geheimarmeen in Europa; Zürich; 2010; S. 303
[3] Zitat Arte; Dokumentation: Gladio – Geheimarmeen in Europa; ausgestrahlt am 22.02.2011
[4] Zitat Ganser; NATO Geheimarmeen in Europa; Zürich; 2010; S. 301
[5] Zitat Arte; Dokumentation: Gladio – Geheimarmeen in Europa; ausgestrahlt am 22.02.2011
[6] Zitat Ganser; NATO Geheimarmeen in Europa; Zürich; 2010; S. 310
[7] Zitat, ZDF; Kennzeichen D, Videoausschnitt; http://www.youtube.com/watch?v=ukoLY4LOBSE
[8] Zitat Ebenda
[9] Zitat Ebenda
[10] Zitat Ebenda; S. 322

[11] Vgl. Ebenda; S. 324, 325
[12] Vgl. Arte; Dokumentation: Gladio – Geheimarmeen in Europa; ausgestrahlt am 22.02.2011
[13] Vgl. Ganser; NATO Geheimarmeen in Europa; Zürich; 2010; S. 321
[14] Vgl. Juretzko; Bedingt Dienstberei; Berlin; 2011; S. 2
[15] Vgl. Ebenda; S. 82
[16] Vgl. Ebenda; S. 77
[17] Vgl. Ebenda; S. 78
[18] Vgl. Ebenda; S. 83
[19] Zitat Ebenda; S. 93
[20] Vgl. Ebenda; S. 81, 82

[21] Zitat, Ebenda S. 102, 107
[22] Vgl. Ebenda; S. 133
[23] Vgl. Ebenda; S. 179
[24] Vgl. Ebenda; S. 137, 138
[25] Vgl. Ebenda; S. S. 205, 207, 211
[26] Zitat Ebenda S. 205
[27] Zitat Ebenda S. 240
[28] Zitat Ebenda S. 250
[29] Zitat Ebenda S. 263
[30] Vgl. Ebenda; S. 324

[31] Vgl. Ebenda; S. 94
[32] Vgl. Ebenda; S. 93

[33] Zitat Ebenda S. 132
[34] Zitat Ebenda S. 95
[35] Vgl. Arte; Dokumentation: Gladio – Geheimarmeen in Europa; ausgestrahlt am 22.02.2011

Gladio, die Causa WSG Hoffmann/Oktoberfestanschlag und der NSU

Parallelen zur Gladio-Affäre in Italien

Im Mittelpunkt steht als erstes die Anklage in den Prozessen zum Anschlag von Bologna am 01.08.1980 in Italien. Die Ankläger vermuten, „hinter dem Geheimdienst“ Verantwortliche „aus dem politischen Machtzentrum Italiens.“ Die Frage, ob „konservative Sicherheits- und Ordnungspolitik durchgesetzt werden“ sollte durch das Massaker, konnte nicht eindeutig bewiesen werden.[1] Wegen der Vorkommnisse des NSU sind bereits verschärfte sicherheitspolitische Entwicklungen zu sehen. Das Gleichnis zur Gladio-Affäre besteht in dem ebenfalls vermuteten Nutzen der Dringlichkeiten in Bezug auf die Veränderungen in der Sicherheitsarchitektur Deutschlands, die auf den NSU-Terror folgen.

Eine weitere Parallele lässt sich in Bezug auf die Ermittlungen zur NSU Affäre zeigen, denn „15 Jahre nach dem Anschlag (in Bologna, Anm. d. Autors) werden zwei Mitarbeiter des militärischen Geheimdienstes verurteilt, falsche Spüren gelegt zu haben, um die zwei verurteilten Neofaschisten „vor Strafverfolgung zu schützen“. [2] Auch damals wurden Ermittlungen manipuliert.

Bereits zum jetzigen Zeitpunkt bestehen Hinweise, die zum Verdacht der Fälschung von Spuren führen können. Die im Raum stehenden Hinweise deuteten im Gegensatz jedoch auf eine Belastung hin, da weder Spuren noch Zeugen den NSU zweifelsfrei mit neun der zehn Morde in Verbindung bringen und das Bekennervideo Tatortaufnahmen enthält, die nur Täter oder Mitglieder von Sicherheitsorganen hätten machen können.[3]

Staatliche Stellen versuchten „Richter auf eine falsche Fährte zu locken und das vom ersten Tag an.“ Die Untersuchungen zum Anschlag auf den Bahnhof in Bologna wurden mit einer Reihe von „gezielten Indiskretionen boykottiert“. „Das Ganze nahm erschreckende Züge an“.[4] Ähnliche Tendenzen bei der NSU Affäre lassen sich ebenfalls nicht ausschließen.

Parallelen zur Causa WSG Hoffmann/ Oktoberfestanschlag

„Es bleibt bis heute unklar“, aus welcher Quelle der Sprengstoff stammt. Zusätzlich ist eine Untersuchung entsprechender Asservate mit der Technik auf dem heutigen Stand nicht mehr möglich, da nach der den Journalisten vorliegenden schriftlichen Verlautbarung des Generalbundesanwalts vom 17.11.2008 „1997/98 alle Sachmittelbeweise des Oktoberfestattentats vernichtet“ wurden. „Ein behördlicher Routinevorgang“ wird dies in der Arte Dokumentation
Gladio – Geheimarmeen in Europa erläutert.[5] Im Zusammenhang mit dem beim Attentat verwendeten Sprengstoff, einem wesentlichem Beweismittel, zeigt sich eine Parallele zur Causa des NSU, da eine behördliche Anweisung zur Beweismittelvernichtung auch in der NSU-Affäre vorhanden ist. Die Akten über den THS und die Operation Rennsteig können samt der sechs Abhörprotokolle, wie der Sprengstoff vom Münchener Anschlag, zur Prüfung auf inszenierten Terror im Sinne der Aufklärung nicht dienen, obwohl die Zeitangabe für die Löschung es wert ist, in Frage gestellt zu werden.

Wieder beim Anschlag in München, spielte Hans Langemann, damaliger Chef des Staatsschutzes, streng geheime Fahndungsdaten an die Presse u.a. der BamS und Quik „wenige Stunden nach dem Attentat“. Sie veröffentlichten fast wörtliche Zitate aus dem Einsatztagebuch der Polizei. Die angestrebte politische Schadensbegrenzung war eine kriminalistische Schadensursache, denn sie hat das Umfeld von Köhler gewarnt. Die Polizei nahm sieben Tage später die Ermittlungen in Donau-Eschingen auf.[6] Auch wenn der Weg und die Adressaten verschieden sein mögen, jedoch auch damals gab es Warnungen in das Umfeld der Täter durch Sicherheitskräfte (siehe Kap. 5).

Eine weitere Parallele zeigt die offizielle Version der Tathintergründe. In Ihrem Zentrum steht die für die Verantwortlichen alternativlose Einzeltäterschaft des beim Anschlag getöteten Gundolf Köhlers. Die bewiesene Verbindung Köhlers zur rechtsextremen WSG Hoffmann „wird als für die Tat bedeutungslos erklärt und entpolitisiert“, trotz der Seilschaft Hoffmanns zu Lempke.[7]

Die isolierte Täterschaft des Trios ist ebenfalls die fokussierte Variante der NSU-Terrorkampagne als die des Rückhalts in einem Netzwerk, auch die vermutete Verbindung zu den Geheimdiensten wird entpolitisiert, weil als abenteuerlich bezeichnet.

Auch die Ermittlungsarbeit der damaligen Generalbundesanwaltschaft zeigt inwieweit damals begründeten Verdachtsmomenten nachgegangen wird. Obwohl die Ermittlungen zum Fall Lempke und zum Fall des Anschlags in einer Behörde durchgeführt wurden, geht die Generalbundesanwaltschaft der Frage, ob der verwendete Sprengstoffe von Lempke gewesen sein könnte, nicht nach.[8]

Mit Bezug zur NSU-Affäre sollen zwei Beispiele zeigen, dass auch hier Zusammenhänge nicht genannt werden. So scheint der MAD eben nicht nur, wie öffentlich erklärt, seine Ermittlungen auf Soldaten der Bundeswehr im THS gerichtet zu haben. Die Gutachter um Schäfer erwähnten nicht die Soko Rege, obwohl eine nicht unwesentliche Möglichkeit bestand über deren Existenz informiert zu seien. Ob diesbezüglichen Fragen, z.B. welche Informationen aus den Ermittlungen des MAD oder der Soko Rege konkret die Unterstützung des NSU durch den THS erklären, nachgegangen wird, kann in hier nicht bestätigt werden.

Resümierend lassen sich hier sechs Parallelen bei der Causa WSG Hoffmann/Oktoberfestanschlag und der NSU-Affäre hervorheben. Zum einen die Vernichtung von Beweismitteln, wie die der Sprengstoffspuren in München und den Akten der Operation Rennsteig sowie Abhörprotokollen, zum anderen gab es bei beiden Ereignissen Warnungen in das Umfeld durch Elemente der Sicherheitsorgane. Weitergehend wird in beiden Fällen eine Unterstützung der Täter durch dritte ausgeschlossen und der Verbindungsverdacht entpolitisiert, während Köhler als strikter Einzeltäter trotz seiner Verbindungen zur WSG Hoffmann gilt, wird das Trio als Kleinstgruppe ebenso strikt ohne Zuarbeit von Dritten angesehen.

Das Zurückhalten von Informationen, wie z.B. die Sperrung von Akten im Fall München und das Verschweigen bzw. Ignorieren von Zusammenhängen wie z.B. beim Sprengstoff des Münchner Anschlags, kann innerhalb der NSU-Affäre ebenfalls verortet werden, wie die Information zu Schredderanweisung und die Nichtnennung der Soko „Rege“.

Zum Abschluss des Kapitels folgt ein Exkurs zur Polizei des Landes Baden-Württemberg, der eine weitere mögliche Gemeinsamkeit zwischen dem Stay-behind-Netzwerk und der Causa NSU andeutet. Zwei Polizisten des Landes und Kollegen der Michèle Kiesewetter waren für ca. sechs Monate zwischen 2001 und 2002 Mitglieder einer internationalen Rassistenvereinigung. Nach Akten des LfV Baden-Württemberg ist dieser grob 20 Mitglieder umfassende Ableger von US-Rassisten durch Achim S. gegründet worden und hat bis ca. Ende 2002 unter dem Namen „European White Knights of the Ku Klux Klan“ bestanden. In dem zugehörigen Disziplinarverfahren, räumten die Polizisten ihre Zugehörigkeit ein, berichteten von „Initiationsriten“ und gaben an, „sie hätten nicht geahnt, dass der Geheimbund rassistisch und voller Neonazis sei“, schreibt die Zeitung TAZ online am 31.07.2012. Ihre Anstellung übten sie weiter aus.

„Es gibt keinen einzigen Anhaltspunkt, dass andere Personen oder Organisationen außer den NSU-Mitgliedern an der Tat beteiligt sein könnten, in welcher Form auch immer“, zitiert die TAZ einen Sprecher der ermittelnden Bundesanwaltschaft, womit dieser die strikte Alternativlosigkeit der Alleinhandlung der Kleinstgruppe, hier den Mord an Kiesewetter, unterstreicht. „Leider müssen wir feststellen: Je mehr wir wissen, desto mehr und unglaublichere Fragen stellen sich“, zitiert die Zeitung dann auch den FDP-Obmann Hartfrid Wolff.[9]

Die Aussage Wolffs gewinnt an Bedeutsamkeit, wenn man sie in Zusammenhang mit folgender Kritik an dem Stay-behind-Netzwerk sieht. „[…] Hermann Scheer, Verteidigungsexperte der SPD, kritisierte, dass dieses […] Netzwerk sehr wohl eine Art von „Ku KLUX KLAN“ sein könnte, das eher für Aktionen gegen die Demokratie in Friedenszeiten gedacht war als für eine eher unwahrscheinliche Invasion der Sowjets.“[10]

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[1] Vgl. Arte; Dokumentation: Gladio – Geheimarmeen in Europa; ausgestrahlt am 22.02.2011
[2] Vgl. Ebenda
[3] Vgl. Compact; Nazibraut? Geheimagentin!; Ausgabe 8/2012; S. 19
[4] Zitat Arte; Dokumentation: Gladio – Geheimarmeen in Europa; ausgestrahlt am 22.02.2011
[5] Zitat Ebenda
[6] Vgl. Ebenda
[7] Vgl. Ebenda
[8] Vgl. Ebenda
[9] Vgl. TAZ; „Polizisten, Ritter und Rassisten“; 31.07.2012
[10] Zitat Ganser; NATO Geheimarmeen in Europa; Zürich; 2010; S. 325